Viele von uns Normalogolfern stehen Tag ein Tag aus auf der Range und feilen daran, einen einigermaßen reproduzierbaren Golfschwung hinzubekommen. „Der war schön, den speicher ich mir mal ab“. Aber Nach PGA Pro Hans-Christian Vernekohl und Dr. Blumhoff ist dieser Ansatz nicht sehr zielführend. Denn ein reproduzierbarer Golfschwung ist so gut wie unmöglich. Viel mehr geht es darum, durch Änderungen im Schwung und im Training dazuzulernen. In einem Interview haben Herr Vernekohl und Herr Dr. Blumhoff mir erklärt, wie das differenzielle Lernen genau funktioniert:

Man liest ja in den letzten Wochen recht viel über differenzielles Lernen (DL)differenzielles-lernen. Können Sie kurz in zwei Sätzen erklären, worin sich DL vom „normalen“ Lernen unterscheidet?

Dr. Blumhoff: In zwei Sätzen wird mir das nicht so einfach fallen. Das DL hilft durch ein Variieren der Bewegungsmerkmale und das Abtasten des Lösungsraumes die optimale individuelle Bewegungsausführung zu finden. Bisheriges Lernen oder Trainieren sieht meist so aus, eine Bewegung oder ein neues Bewegungsmerkmal durch Einschleifen immer und immer zu wiederholen und dabei zu hoffen, dass sich das Bewegungsmerkmal im Schwung festigt und sich keine anderen Bewegungsparameter gleichzeitig mit verändern.

Wo ist der Unterschied zum variablen Lernen oder zum Koordinationstraining zu sehen?

Dr. Blumhoff:  Grundsätzlich gibt es ein paar Überschneidungen – das bewusste Variieren von Bewegungsmerkmalen ist allerdings neu und dem Urheber Prof. Schöllhorn zu verdanken. Es ist mehr als nur das Anpassen an Umweltbegebenheiten (nach Meinel &Schnabel die variable Verfügbarkeit) oder das Lösen von koordinativen Aufgaben als Selbstzweck.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Fehler, die Golfer auf der Range machen?

PGA Pro Vernekohl: Viele Golfer verbringen erstmal zu wenig Zeit auf der Range. Zum Vergleich eine 18 Loch Runde eines durchschnittlichen Amateurs: ca. 60 lange und 40 kurze Schläge. Auf den Übungsanlagen brauche ich dafür ca. 60 Minuten. Die richtige Mischung wäre Aufwärmen, Einschlagen, eine kurze Runde und anschließend an den Dingen auf der Übungsanlage arbeiten, die mir nicht gefallen haben.

Und die Fehler auf der Range?

Dr. Blumhoff: Nach meinen Beobachtungen sind viele Golfer auf der Range nicht konzentriert und möchten nicht wirklich an sich arbeiten bzw. wissen auch nicht woran sie arbeiten können.

Können Sie konkrete Fehler nennen?

PGA Pro Vernekohl: Sehr häufig werden nur die weiten Distanzen geübt und die mittleren und kürzeren vernachlässigt. Ungeduld ist ein weiteres Problem – die meisten Erwachsenen geben sich nicht mehr die Zeit und die  nötige Übung, etwas wirklich zu erlernen. Würden sie hingegen ein Musikinstrument erlernen, wäre jedem klar, dass dies nicht im Vorbeigehen passiert.  Sich Zeit nehmen, tief durchatmen, vor dem Schlag ein Probeschwung, nach dem Schlag mit der Rückmeldung, der gewonnen Erfahrung  und  dem Gefühl weiterarbeiten.

Weitere Fehler?

PGA Pro Vernekohl: Häufig wird kein Ziel angespielt, z. B. die Distanzschilder. Das ist die Gefahr der Range. Sie ist ein tolles Trainingsareal. Aber man muss sie auch zu nutzen wissen. Was nützt es mir, wenn ich es schaffe den Ball mit dem Driver in die rechte Hälfte der Range zu schlagen? Eine Range ist meist 150 Meter breit oder mehr – das Fairway dagegen häufig nur 20 oder 30 Meter. Das führt häufig zu falschen Vorstellungen. Die meisten Golfer wissen zum Beispiel nicht, wie häufig sie wirklich ein Grün aus z.B. 150m treffen. Das führt schnell zu falschen Entscheidungen bzw. eine gescheite Risikoabwägung sitzt gar nicht drin. Weiterhin wissen viele Golfer nicht, welche Schlüsse sie aus den gewonnen Informationen ziehen können bzw. an welchen Bewegungsparametern sie arbeiten können – damit wären wir auch beim differenziellen Lernen.

Im Golfsport wird einem beigebracht, einen möglichst reproduzierbaren Schwung zu lernen und zu üben. Beim DL geht es allerdings ja darum, durch Variationen zu optimieren. Wieso ist dies erfolgversprechender?

Dr. Blumhoff: Die Reproduzierbarkeit des Schwungs ist ein Illusion. Studien haben nachgewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein und derselbe Golfer zwei völlig identische Schwünge ausführt, sehr gering ist. Dass unterschiedliche Schwünge erfolgreich sein können, sieht man an Jim Furyk oder Graeme McDowell oder solchen Eigenheiten wie dem Handgelenk von Dustin Johnson. Natürlich werden durch ein häufiges Wiederholen des Schwunges z.B. auf der Range die Fehlschläge weniger. Auch so ist der selbstlernende Organismus Mensch in der Lage durch kleine Änderungen irgendwann zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen. Die Frage ist aber: Wenn wir dies ohnehin selbstständig unbewusst und in kleinen Schritten tun – warum sollten wir dies nicht bewusst in einen größeren Rahmen packen und effizienter gestalten? Hier setzt das Differenzielle Lernen an. Schauen Sie sich die derzeitige Kugelstoßtechnik an. Sie haben in der Weltelite zwei völlig unterschiedliche Techniklösungen, die beide konkurrenzfähig sind. Wenn sich im Nachhinein eine der Techniken durchsetzt, werden uns die Biomechaniker mit Sicherheit vorrechnen, warum dies die objektiv bessere Technik (-lösung) ist. Und das Technikleitbild wird sich entsprechend in der Lehre verbreiten. Unser Ansatz heißt aber: „form follows function“ – das Funktionieren einer Bewegung bestimmt das Technikbild. Und um zu einer funktionierenden Bewegung zu kommen, differenziere ich im Training die Bewegungsparameter – wie in unserem Buch beschrieben.

Das erklärt aber noch nicht völlig warum das DL erfolgreicher sein soll?

Dr. Blumhoff: Nein, das ist nur einer der Hintergründe. Wir wissen, dass vor allem das zufällige Auffinden einer Lösungsmöglichkeit Belohnungsprozesse im Gehirn auslöst. Dieser Prozess ist wesentlich nachhaltiger und effizienter, als wenn uns eine richtige Lösung durch den Golflehrer bereits vorgegeben wird. Völlig geklärt sind die Ursachen dafür noch nicht, aber die Erkenntnisse der Neurologie (Hirnforschung) machen den Ansatz des DL sehr plausibel. Was die Wirksamkeit des DL angeht, können wir allerdings von gesicherten Erkenntnissen sprechen. Zwei unterschiedliche Studien (die von Wewetzer von der Uni Kiel und die von uns durchgeführte) kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass sportstudierende Golfanfänger vom DL deutlich profitieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Konzepten und Meisterlehren liegen hierfür empirische Ergebnisse vor und bestätigen die Befunde die Prof. Schöllhorn mit seiner Arbeitsgruppe in anderen Sportarten erforscht hat. Aber auch für den Profisport ist der Ansatz höchst interessant. Florian Fritsch – der ja auch das Vorwort zu unserem Buch geschrieben hat – trainiert seit zwei Jahren nach dem Ansatz und schaffte damit immerhin den niedrigsten Rundendurchschnitt auf der Challenge Tour und den Aufstieg auf die European Tour.

OK – soviel zur Wirksamkeit aber wie sieht DL ganz konkret beim Golfen aus? Können Sie eine Übung zum Ausprobieren empfehlen?

PGA Pro Vernekohl: Ja machen wir gerne – hier ein kleiner Auszug aus dem Buch:

Mittigkeit des Treffens (Sweet Spot)
Einer der wichtigsten Parameter für gerade und  lange Schläge überhaupt, ist das mittige Treffen. Nur so erreichen Sie die maximale Kraftübertragung und die Schläger werden sich in der Schwungbewegung leicht und mühelos anfühlen. Den meisten Amateuren gelingt ein regelmäßiger Treffmoment im Sweet Spot nicht, zudem haben sie selten eine Idee, wo der Ball auf der Schlagfläche getroffen wurde. Der guter Golfer weiß dies sehr genau, und auch einen Treffer nur wenige Millimeter neben dem optimalen Punkt kann er zuordnen.
Bei dieser Übung sollen Sie versuchen, den Ball bewusst näher zur Hacke oder zur Schlägerspitze zu treffen. Achten Sie dabei vor allem darauf, wie sich die Hände im Treffmoment anfühlen und ob sich der Schläger verdreht. Bitten Sie Ihren Pro um einige Impact Tapes; das sind Aufkleber, die auf die Schlagfläche geklebt werden und nach dem Schlag zeigen, wo der Ball getroffen wurde. Versuchen Sie den Ballbewusst mit der unteren Kante Ihres Eisens zu treffen (toppen), oder ihn nahe dem Hosel zu treffen und absichtlich einen Socket zu schlagen. Rickie Fowler erzählte kürzlich in einem Interview, dass er beim Training auf der Driving Range versucht absichtlich Sockets (Shanks) zu schlagen und dies dabei variiert: Vom leichten Socket (Flug fast wie beim Slice) bis hin zum starken Socket (Flug fast waagerecht nach rechts). Ähnlich kann man es mit dem Treffer an der Spitze probieren (Ballflug ebenfalls meist rechtslastig durch Aufdrehen der Schlagfläche).
Versuchen Sie den Ball mit der Sohle ihres Sandeisens zu treffen – schaffen Sie es, ihren Ball mit der Hand aufzufangen? Auch das Training mit Schlägern, die eine kleinere Schlagfläche besitzen (zum Beispiel „the little one“), erhöhen die Treffgenauigkeit.
Für Fortgeschrittene empfehlen wir die Übung wie folgt zu variieren. Teilen Sie die Schlagfläche in 6 Abschnitte ein (vorne, Mitte, hinten jeweils unten und oben) und versuchen Sie in jedem Teilstück den Ball zu treffen.
Ball mittig, Ball nahe dem Hosel, Ball an der Spitze

Ist DL etwas für Golflehrer, oder auch für „Eigenbrödler“, die auf der Range lieber selbst am Schwung rumtüfteln?

PGA Pro Vernekohl: Aus unserer Sicht gibt es keine spezifische Zielgruppe für das DL lernen – der Ansatz gilt für alle gleichermaßen. Gerade für Autodidakten könnte dieses Konzept sehr erfolgsversprechend sein, da sie womöglich in weniger Sackgassen geraten. Auch kann man den Ansatz des DL natürlich sehr eng oder auch sehr weit fassen. Grundsätzlich ist die Arbeit mit einem Golflehrer dabei hilfreich – vielfach glauben Schüler, sie würden eine Differenzierung durchführen, machen aber im Prinzip noch den gleichen Schwung. Wenn man den Ansatz des DL sehr eng auslegt, wählt der Golflehrer ein oder zwei Bewegungsparameter aus und zeigt den Lösungsraum für die Bewegungsmerkmale. Den Lernprozess kann er dann begleiten – die Suche nach der Bewegungslösung führt der Schüler selber aus. Der Golflehrer kann ggf. ein Feedback, z.B. über Video geben,  ob und wie der Lösungsraum vom Schüler abgetastet wird, ohne eine große Bewertung in Form von gut oder schlecht.

Wie ist die Rückmeldung zu Ihrem Buch?

PGA Pro Vernekohl: Wir bekommen fast ausschließlich positive Resonanz zu unserem Buch und die Verkaufszahlen für ein solches Fachbuch sind ganz gut. Vielfach haben wir auch Anfragen zu einem Workshop zum DL. Wir sind an dem Thema dran – bei Interesse für einen solchen Workshop, können die Leser mir gerne ein Email senden – wir werden sehen was sich machen lässt.